Dank an Alexandra Sommerfeld für das Korrekturlesen.
Link zu Ausstellungsinfo: Simina Badea. I Ging - Zeichnungen und Texte. Lesung: Alexandra Sommerfeld
1/Khan/Wasser
Neptunus
In einen Haufen Zellen
stürzte er hinein-
in dunkles Fleisch.
Fallender Himmelsstern
leuchtet im erdigen Staub.
Sein Körper ist eng gebaut,
eine Schlucht geschlossener Poren.
Neptunus ist
ein Winterkind.
In seinem Wesen
liegt der Drache verborgen,
wartet
auf seinem Aufstieg.
Der Drache leuchtet
und pustet innerlich,
ein unterdrückter Donner.
"Das Fleisch muss ertränkt werden.
Es bleibt der Ozean aus Licht.
Wir sind nur Wellen,
schaukelnd,
im ewigen Rhythmus der Vergänglichkeit,
der uns am Leben hält.
Wir steigen
aus der ewig breiten Fläche
des Ozeans hoch,
und kehren still zu ihr zurück."
Unscheinbar ist sein Wesen,
ungeahnt seine Tiefe.
Man erkennt in ihm
nicht mehr als ein Korn,
welches das Rieseln des Sandes
in der Wüste ausmacht.
2/Kun/Erde
Der goldene Topf
Vor langer Zeit lebte einmal ein Weib namens Luna. Rund und prall war sie. Die Haare fielen ihr wie Sonnenstrahlen über die Schultern. Ihr Wesen war sanft und hingebungsvoll. Sie ging jeden Tag in den Wald um Holz fürs Feuer und Nahrung für ihre Kinder zu sammeln. Um sich herum nahm sie die um Hilfe bittenden Waldbewohner wahr und sie bemühte sich so gut sie konnte ihnen zu helfen. Die meiste Zeit jedoch musste sie ihrer eigenen Arbeit nachgehen.
Als sie abends zu Hause ankam, beladen mit Holz, Waldkräutern und Pilzen, Honig und Wurzelwerk, roch es heimelig nach dem Rauch der Feuerstelle der sich mit dem Nahrungsduft vermengte und durch den Schornstein aufstieg. Und so freuten sich alle über das Wiedersehen in der warmen Stube.
Eines Tages jedoch, während die Mutter im Wald Nahrung sammelte und die Kinder den Topf auf der Feuerstelle setzten, fiel er ihnen zu Boden und zerbrach.
Als sie im Wald bei einem Haselnussstrauch vorbeikamen, hörten sie eine besorgte Stimme um Hilfe bitten: "Ich hab meinen Fuß verletzt und komme nicht mehr weiter. Mein Fohlen braucht Milch und Gräser zum Wachsen."
Von dem Tag an konnte sich Luna mühelos ihrem wahren Wesen entsprechend entfalten. Sie half den Bäumen im Wald und pflegte ihre von Krankheit befallenen Äste.
Sie fütterte die Himmelsvögel welche ihr durch die goldenen Strähnen ihrer Haare flogen und voller Freude dankbar zwitscherten.
3/Zhen/Donner
Erdbeben. Klingt ganz einfach, oder?
Wir wissen heute zwar, warum sie entstehen, und trotzdem rufen sie Furcht und Erschrecken im Bewusstsein der Menschen hervor.
Erdbeben sind immer plötzlich, nie berechenbar, wuchtig, zerstörerisch.
Taran lebte in jener Zeit mit seiner Familie in einem grünen Land. Die Pflanzenvielfalt war paradiesisch. Es keimten unzählige Samen zu melodischen Grüntönen. Die Blüten sammelten sich an manchen Ecken wie seidene Teppiche mit orientalischen Mustern.
Taran war der älteste Sohn einer Bergarbeiterfamilie und ging mit seinem Vater jeden Tag in den Berg um Kohle abzubauen.
Bis zu jenem Tage, an dem ein furchterregendes Erdbeben Berge in die Höhe aufstiegen ließ. Die ragten mit ihren Spitzen bis in den Himmel hinauf, und der Anblick ihrer grauen, steilen und glatten Wänden war schwindelerregend.
Viele der Familien, die in dem grünen Land wohnten, verloren ihr Hab und Gut, Taran´s Familie auch. Sie waren erschüttert.
Ein wenig später ging Taran zu seinem Vater und versuchte ihn aufzumuntern: "Wir gehen zum neuen Berg und beginnen eine neue Mine zu graben! Ich weiß, das Erdbeben ist da, um Bewegung in unser Leben zu bringen und es zu verändern und nicht zu zerstören."
4/Xun/Wind
Wiederholung.
Langsame, beständige Wiederholung
ermöglicht das Eindringen
in die Seele,
das Wegfegen von Inhalten,
ob gute oder schlechte.
Haizea trägt einen mit Blumen bestickten Gurt auf ihrer Hüfte, als Zeichen des Im-Körper-Inkarniert-Seins. Ihre Füße sind beweglich wie die einer Tänzerin, die ihre Schritte sanft und gebetsmühlenartig wiederholt, um der Erde Lobpreisungen darzubieten. Ihr Kopf ist länglich, mit eingedellten Schläfen, ein zartes Wesen, so sensibel und weich.
Die Unbekannten, die Fremden, sind urplötzlich da gewesen, von weit hergereist, aus Not geflohen, ohne Raumkoordinaten, dem Mitgefühl anderer völlig ausgeliefert. Nun sind da diese Bildschirme, die in zu schnellen Rhythmen, in einer emotionalen Endlosschleife, Wellen über die Gefahr dieser räumlichen Invasion ausstrahlen. Hinter den pulsierenden Bildschirmausstrahlungen stecken Interessen zur Spaltung der Menschenbrüder/schwestern, zur Lähmung und zum Vergraben der Liebe und des Mitgefühls. Enge und ein völlig unreflektierter Gehorsam sind das Ziel.
Doch kommt die Zeit, in der der Gurt zu eng wird. Aus erfundenen Schutzgründen der Freiheit beraubt und eingekesselt von lückenloser Kontrolle, beginnt der Topf langsam, aber stetig zu brodeln.
6/Qian/Himmel
Bevor sich das Leben jemals manifestierte, gab es die schöpferische Idee. Ein glänzend, elektrisierender Impuls, welcher die Welt aufkeimen ließ. Gedankensamen fielen auf die Erde wie ein belebender Regen und entfalteten sich zu unzähligen Wesen und ihren Lebensbildern, von Gedanken, welche durch Unachtsamkeit wild geworden waren und an denen sich das "Ich" fest anklammerte, genauso wie die von solchen, die durch Konzentration gelenkt wurden.
In jener Zeit stieg Sora aus dem Himmel herab, welch wundersame Geburt unter den Wesen. Mit leuchtenden Sternen bestickt war sein Haupt. Die alten Weisen hatten seine Geburt vorausgesagt.
Der leuchtende Pfau ist der Leuchtturm für die Wesen, die den Weg aus der Dunkelheit suchen. Aus der Dunkelheit heraus durch die Dunkelheit hindurch. An ihr kommt man nicht vorbei, erzählt Sora den Suchenden. Das einzig Wichtige dabei: niemals den Weg aus den Augen verlieren. Niemals glauben, dass die Dunkelheit kein Ende hat.
Alles aufgeben, sogar die eigenen Gedanken. Licht und Schatten sogleich umarmen.
7/Dui/See
Ein in sich spiegelnder Lichterregen
war Saana,
in der dunklen Nacht
der eigenen Seele geboren.
Ihr Herz schlug
den Höhen des Verlangens
entgegen,
flog so nah
an tausend unerfüllten Träumen
und Wünschen vorbei.
Jeder Stern
am schwarz-seidenen Himmel
war ein Wunsch,
der ihre Haut bestickte.
Jeder Schlag ihres Herzens,
der in Eile pochte,
war ein Schlag zu wenig,
eine nicht-durchlebte Verliebtheit,
unmäßige Freude,
leuchtend
so rau.
In die diaphane Spiegelkammer
eintauchen,
als majestätischer Vogel,
umgeben
von glitzerndem Licht,
die Kunst des Magiers,
der unergründliche Sog.
Vergeblich der Versuch
Schritt zu halten.
Erspüren,
nicht erstarren.
Das Geisterhaus
ist nicht zu fassen.
Doch lieber
die ungetrübten Wellen
vorbeiziehen lassen,
dem zeitlosen Fluss
sich widmen.
8/Gen/Berg
Aramsha
Die edle Prinzessin,
im Land der Freuden
als Blütenregen
vor dem Frühling
geboren.
Aramsha kannte keine Krankheit,
keine Trauer, kein unerfüllter Wunsch,
selbst der Tod blieb ihr
in dem Sinne erfreuenden Palast
verborgen.
Bis zu jenem Tag
an dem sie,
vor brennender Neugier erfasst,
beschloss,
einen Spaziergang
in die unbekannte Welt
außerhalb des Palastes
zu wagen.
Sie entdeckte dort
eine ungeahnte Wirklichkeit,
in Form von Leid,
Schatten und Flüchtigkeit.
Darauf beschloss sie,
den einsamen Berg
hinter dem Palast der Sinnesfreuden
zu besteigen und
den Eindrücken,
die ihr Herz so durchwühlten,
nachzugehen.
9/Li/Feuer
Jamila
Sie ist die ewige Flamme,
das ungeborene Licht.
Das Leben
in Form unzähliger Erscheinungen
wird durch ihren Glanz und Wärme
erhalten.
Weil Jamila die Gerechtigkeit
innewohnt,
funkeln ihre Augen
voller Lebensfrische
und Glückseligkeit.
Charismatisch sind ihr Leuchten
und ihre Schönheit,
welche bei den Gewöhnlichen
Begierde und Verlangen
erwecken.
Sie fliegen ihr nach
wie verblendete Insekten
in die brennenden Flammen
des Feuers nachts.
Jamila bringt Licht
im Dunkeln und spricht:
"Eure Flammen brennen,
ohne dass ihr
frühzeitig ausbrennt,
nur,
wenn ihr eurem Feuer
den richtigen Brennstoff
bietet."
So sprach Jamila
zu den Suchenden
und strahlte leuchtend
um sich,
die Ewigkeit,
die Zeitlosigkeit,
die Poesie.
Bei Interesse sende ich Ihnen gerne die kompletten Texte. Anfragen